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Folge 04: Von der Großen Hamburger zum Berliner Ensemble
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Von der Großen Hamburger zum Berliner Ensemble

Wege mit Irina Liebmann und Pedro Kadivar

Die Schriftstellerin Irina Liebmann hat ein waches Auge für die Spuren, die die Zeitläufte im Leben von Menschen wie auch in Gebäuden, Straßen und Plätzen hinterlassen haben. Anfang der 1980er Jahre begann sie, die Geschichte der Großen Hamburger Straße zu rekonstruieren – im Gespräch mit Anwohnern, von denen einige zu Freunden wurden, in Archiven und mithilfe von Straßenplänen und Adressbüchern. Aus alten Tagebüchern und Notizen zu zitieren erschien ihr sinnlos. Historische Fakten, erzählte Geschichte und autobiographisches Material fließen zusammen. Entstanden ist ein romanhafter Text, der empathisch, manchmal ironisch und oft auf eine angenehm lakonische Art Vergangenes wachruft.

Die Große Hamburger Straße war im 18. Jahrhundert eine Stadtrandgegend, in der Juden, Protestanten und Katholiken ihre Toten beerdigten. Irina Liebmann erzählt auch von den Wirren im Mai 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden auf dem von den Nationalsozialisten zerstörten Jüdischen Friedhof Massenbegräbnisse statt. Heute ist der Friedhof ein kleiner Park und Gedenkort. Irina Liebmann hatte an vielen Türen benachbarter Häuser geklingelt und Anwohner um Zeugnis gebeten. Doch meist wurden die Türen zugeknallt. Die Menschen, die dabei waren, sagt die Autorin, hätten Angst gehabt, beschuldigt zu werden. Und es sei einfach so, dass man mit einer Zeitverschiebung nicht mehr gerecht sein könne. „In einer anderen Zeit sieht alles anders aus.“

Pedro Kadivar haben wir am Bertolt-Brecht-Platz vor dem Berliner Ensemble getroffen. Dort ist er 1992 dem Dramatiker Heiner Müller begegnet, im Kopf den Wunsch, Müllers Prosatext Todesanzeige in Paris zu inszenieren. Pedro Kadivar war sechzehn, als er aus Iran nach Frankreich immigrierte. Er promovierte über Marcel Proust, er schreibt Theaterstücke, er unterrichtet und führt Regie an französischen und deutschen Bühnen.

Berlin ist inzwischen sein ständiger Wohnort. An der Stadt gefällt ihm, dass sie all jene aufnimmt, die das Leben lieben, aber nicht unbedingt wissen, was genau sie mit ihrem eigenen Leben anfangen sollen oder können. In seiner Erzählung Das kleine Buch der Migrationen schreibt er, Berlin mache Mut, sich ins Gesicht zu schauen, während einem der Boden unter den Füßen wegrutsche.

Als der Theatermacher 1983 in Frankreich ankam, hörte er schnell auf, Farsi zu sprechen. Er machte einen harten Schnitt. In dem vertrauten wie fremden Ort Berlin und beim Erlernen der neuen Sprache Deutsch begriff er, dass Französisch und Farsi durchaus in ihm koexistieren können. „Literatur“, sagte Pedro Kadivar, „ist eine Fortbewegung in der Sprache selbst“. Literatur und Migration gehören zusammen.

Irina Liebmann: Die Große Hamburger Straße. Roman. Schöffling & Co. Frankfurt a/M. 2020

Das Lied vom Hackeschen Markt. Drei politische Poeme. Hanani Verlag, Berlin 2012

Stille Mitte von Berlin. Essay und Fotografien. Nicolai, Berlin 2002

In Berlin. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994

Berliner Mietshaus. Dokumentarische Erzählungen. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale/Leipzig 1982.

Pedro Kadivar: Kleines Buch der Migrationen. Aus dem Französischen von Gernot Krämer. Sujet-Verlag, Bremen 2017

Coup de cœur:

Nils Trede: Richtung Süden. Roman. Secession Verlag für Literatur, Berlin 2021

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