Nachsalzen, natürlich!
Günter Grass‘ Küche, Der Butt und unveröffentlichte Prosa von Carmen Francesca Banciu
Carmen Francesca Banciu hat Bukarest vor 30 Jahren verlassen und Berlin „zu ihrem Paris“ gemacht. Kunstvoll fremdet sie die deutsche Sprache in ihren Romanen, Prosaminiaturen, Gedichten und Essays um. Es ist faszinierend, mitzuvollziehen, wie sich ein Gedanke oder eine sinnliche Wahrnehmung aus einem kleinen, von ihr genau beobachteten Detail heraus entfaltet, und wie es ihr gelingt, das Poetische mit dem Politischen zu verbinden. Für sie, die vom rumänischen Geheimdienst drangsaliert und verhört, von der Zensurbehörde vergeblich eingeschüchtert, aber sehr wohl mit Publikationsverbot belegt wurde, ist es wichtig, als Zeitgenossin auf politische Entwicklungen zu reagieren.
Dass ihr 350 Seiten langes Prosagedicht Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten 2018 auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis kam, war eine große Anerkennung für sie wie auch für ihre engagierte, deutsch-amerikanische Verlegerin Catharine Nicely. Für den Verlag Palm Art Press wurden inzwischen mehrere Bücher von Banciu ins Englische übersetzt; darunter Vaterflucht / Fleeing Father und Das Lied der traurigen Mutter / Mother’s Day – Song of a Sad Mother. Beide Romane sind Teil einer Trilogie, in der die Autorin familiäre und politische Lebenslügen bloßlegt.
Zahlreiche Auszeichnungen, Workshops und Arbeitsstipendien haben Carmen Francesca Banciu immer wieder in die USA und nach Großbritannien geführt. Mit dem spanischen Theaterkollektiv „La Conquesta del Pol Sud“ erarbeitete sie eine Bühnenfassung ihres Romans Ein Land voller Helden. Sie verbindet darin den Zusammenbruch des Ceaucescu-Regimes mit Fragen nach der Neuausrichtung Europas. A Land full of Heroes wurde 2019 mit großem Erfolg in Birmingham gefeiert. Die Pandemie durchkreuzte die in Frankreich geplante Aufführungstour.
Von März bis Juni 2021 war Carmen Francesca Banciu als Stipendiatin zu Gast in Wewelsfleth. Das kleine Dorf liegt 70 km nördlich von Hamburg. Anfang der 1970er Jahre hatte Günter Grass dort ein über 300 Jahre altes Haus gekauft. Das reich verzierte Fachwerkgebäude sollte abgerissen werden, um Platz für einen Parkplatz zu machen – direkt neben dem alten, im 16. Jahrhundert angelegten Friedhof. Mit dem Kauf durchkreuzte Grass die Pläne. Er zog von Berlin nach Wewelsfleth und blieb mit seiner Familie ein Jahrzehnt lang in dem inzwischen denkmalgeschützten Haus. 1985 gründete er die Stiftung Alfred-Döblin-Haus, die es Schriftsteller*innen ermöglicht, in Wewelsfleth zu arbeiten.
Einer der Räume, die Carmen Francesca Banciu dort zur Verfügung gestellt wurden, war das Arbeitszimmer von Günter Grass. Sein monumentales Epos Der Butt wurde dort geschrieben. Es lag nahe, dass die Autorin ein inneres Zwiegespräch mit Grass begann – über das Schreiben, den Feminismus, die Lust am Kochen. Den berühmten ersten Satz aus Der Butt holt sie in die Gegenwart. Das Buch, das in Wewelsfleth begonnen wurde und im Frühjahr 2022 bei Palm Art Press erscheinen wird, soll den Titel Ilsebill salzt nach tragen.
Wir haben Carmen Francesca Banciu im Alfred-Döblin-Haus besucht. Für uns hat sie dort entstandene Prosastücke und ein Gedicht gelesen.
Carmen Francesca Banciu: Fleeing Father, Palm Art Press, Berlin 2021
Vaterflucht, Palm Art Press, Berlin 2021
Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten, Palm Art Press, Berlin 2018
Light Breeze in Paradise, Englisch/Griechisch, Palm Art Press, Berlin 2017
Berlin ist mein Paris. Geschichten aus der Hauptstadt. Neuauflage. Palm Art Press, Berlin 2017
Filuteks Handbuch der Fragen. Erzählungen. Neuauflage. Palm Art Press, Berlin 2017
Fenster in Flammen. Roman. Palm Art Press, Berlin 2015
Mother’s Day. Song of a Sad Mother. Palm Art Press, Berlin 2015
Leichter Wind im Paradies. Roman. Palm Art Press, Berlin 2015
Vaterflucht. Roman. Rotbuch, Berlin 2009
Coup de cœur:
Beate Dölling: Ab in die Rakete. Zeichnungen von Tine Schulz. 192 Seiten. Tulipan Verlag, München 2021
Mehr Information zu Beate Döllings Büchern, Leseterminen und Schreibwerkstätten findet man auf ihrer homepage: www.beatedoelling.com
Susie Morgenstern: Mes dix huit exils, Iconoclaste, Paris, 2021, 245 pages