Buchhändler sind Landwirte – Ein Besuch in der Berliner Librairie Zadig und Auf ein Wort mit Leïla Slimani
„Museen erscheinen mir wie erdrückende Orte, wie der Kunst, der Schönheit, dem Genie geweihte Festungen, in denen ich mich winzig klein fühle“, bekennt Leïla Slimani in ihrem autobiographischen Essay Der Duft der Blumen bei Nacht. Im April 2019 hat sie dennoch eine Nacht in einem venezianischen Museum für zeitgenössische Kunst verbracht. Im 17. Jahrhundert war die Dogana in Venedig als Zollhaus errichtet worden – eine Schnittstelle im Warenverkehr zwischen Orient und Okzident. Seit 2009 präsentiert der französische Unternehmer François Pinault seine Kunstsammlung in dem Gebäude.
Die Vorstellung, ganz allein und ungestört in den weitläufigen Räumen der Dogana herumzuschlendern und die Nacht schreibend und träumend zu verbringen, gab den Ausschlag. Auch die Beharrlichkeit ihrer Lektorin bei den Éditions Stock, die Leïla Slimani für einen Beitrag in der Reihe „Meine Nacht im Museum“ gewinnen wollte. Entstanden ist ein reflektiertes, sehr persönliches Buch, das viel von selbst gewählten Zwängen erzählt und von dem, was die Künste uns lehren und anbieten. Gewidmet ist es dem Freund Salman Rushdie. Er, so Leïla Slimani, habe ihr vermittelt, „dass man nicht im Namen der Seinen“ schreiben muss – wie überhaupt, dass man nicht schreiben könne, ohne die Möglichkeit in Kauf zu nehmen, einen Verrat zu begehen.
2003 hat Patrick Suel in Berlin-Mitte die französische Buchhandlung Zadig gegründet, um „einen Raum für die literarische Avantgarde“ zu schaffen – und als Anerkennung für seine buchhändlerische Leistung ist er mit dem Ordre des Arts et des Lettres ausgezeichnet worden. Leïla Slimani war eine von vielen Autor:innen, die in die Linienstraße gekommen sind, um das, so Patrick Suel, „besondere Berliner Publikum“ seines Buch-Ortes zu treffen. Seit 2019 hat Zadig ein neues Domizil in der nur wenige hundert Meter weit entfernten Gipsstraße. Es gibt dort eine Terrasse zum Innenhof, der den Laden an die Sophien-Gipshöfe anbindet und für Veranstaltungen genutzt werden kann. Nach zwei Jahren des Verzichts ist die Zeit reif für Einladungen. Patrick Suel und seine Mitarbeiter:innen planen ein Leseprogramm und weitere eigene Publikationen: Lyrikanthologien und die Jahresschrift Lointain intérieur. Schließlich gilt für Patrick Suel das, was zur Zeit der französischen Aufklärung gängige Praxis war: Buchhändler waren zugleich Verleger. En avant Zadig et bravo!
Dank an Barbara Wahlster und Christian Ruzicska, die die Übersetzung der Gespräche gelesen haben.
Zadig, Gipsstraße 12, 10119 Berlin-Mitte, Tel. 030-280 999 05
Bücher von Leïla Slimani (Auswahl)
Der Duft der Blumen bei Nacht. Roman. Aus dem Französischen von Amélie Thoma, Luchterhand, München Februar 2022
Das Land der Anderen. Roman. Aus dem Französischen von Amélie Thoma, Luchterhand, München Mai 2021
All das zu verlieren. Roman. Aus dem Französischen von Amélie Thoma. Luchterhand, München 2019
Sex und Lügen. Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt. Aus dem Französischen von Amélie Thoma. btb, München 2018
Dann schlaf auch du. Roman. Aus dem Französischen von Amélie Thoma. Luchterhand, München 2017