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Folge 23: Ein paar Wahrheiten über den Indochina-Krieg: „Ein ehrenhafter Abgang“ von Éric Vuillard
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Die Lektüre der Bücher von Éric Vuillard verändert den Blick auf revolutionäre Bewegungen, auf Kriege und Propaganda, auf die so genannte gute Gesellschaft und den politischen Eifer großbürgerlicher Finanzdynastien. Er erzählt von der aufständischen Kraft, die am 14. Juli 1789 zum Sturm auf die Bastille führte; in „Die Tagesordnung“ (Prix Goncourt, 2017) schildert er ein Geheimtreffen Hitlers mit 24 Industriellen, und in „Traurigkeit der Erde“ verfolgt er den Lebensweg Buffalo Bills, der mit seinen Wild West-Shows den Gründungsmythos eines freien Landes feierte und die unterworfenen amerikanischen Ureinwohner perverserweise zu Statisten in diesem Massenspektakel machte. Éric Vuillard besitzt ein untrügliches, feines Gespür für historische Momente. Er seziert sie ironisch, erstaunt, mitfühlend und immer mit Haltung. Denn er nimmt sich klar das Recht, Begebenheiten nicht nur zu hinterfragen, sondern auch subjektiv zu beurteilen.

Seine jüngste Publikation „Ein ehrenhafter Abgang“ handelt von der Kolonisierung Indochinas und einem Krieg, der nicht zu gewinnen war. Vuillard erinnert an Generäle und Politiker, die das französische Volk jahrelang über die Höhe menschlicher Verluste wie die exorbitanten Gewinne der kriegstreibenden Indochina-Bank täuschten – und er beschreibt die Kapitulation der französischen Truppen am 7. Mai 1954 in der Dschungelfestung Dien Bien Phû. Der Vietnamkrieg war einer der längsten des 20. Jahrhunderts.

Das Schlussbild des Buches ist auf den 29. April 1975 datiert.

„Die Ventilatoren bleiben stehen. Die Kühlschränke bleiben stehen. Die Autos gehen kaputt. Es gibt riesige Friedhöfe voller Kühlschränke, große Nekropolen voller Klimageräte und Pyramiden aus Spülmaschinen. Alles ist tot. Also stürzt man sich auf die letzten Schiffe, die letzten Hubschrauber, die letzten amerikanischen Flugzeuge. Die Piloten selektieren die Passagiere mit der Pistole in der Hand. Ein riesiges Gedränge. (…) Tausende von Menschen, die in Schlauchbooten aufgebrochen waren, ertrinken. Furchtbar, diese überfüllten Boote, die Menschentrauben, die auf den Wellen treiben, die Anhäufungen von Körpern, Paketen, Fahrrädern, Geschrei und Entsetzen. All die Strohhüte! Wie traurig ein Volk doch ist. Man teilt es, man schneidet es von sich selbst ab, die Zeit vergeht, und es kann nur Angst davor haben, sich wiederzufinden, erstickt in der unbarmherzigen Reuse anderer Interessen, die ihm aufgenötigt worden sind.  Oh, du, der angeblich so clevere Kissinger, der Talleyrand des Kalten Krieges, wie lächerlich bist du doch mit deinem entspannten Lächeln, deiner allwissenden Miene, deiner berühmten Brille, durch die du auch nichts gesehen hast. Aber machen Sie sich keine Sorgen, die amerikanische Kolonie und die letzen Franzosen sind evakuiert worden (…) Ach, man muss sie gesehen haben, diese letzten Westler, die während des Falls von Saigon mit dem Hubschrauber auf dem schnellsten Weg vom Dach der US-Botschaft evakuiert wurden. Man muss unbedingt sehen, wie die Diplomaten so gut sie können an der Strickleiter hochklettern. Die Krawatten werden vom Wind erhascht. Die Körper klammern sich an die Sprossen, der Schal fliegt weg. Was für eine Endzeitstimmung, was für ein Debakel! In der lächerlichen Hoffnung auf einen ehrenvollen Abgang hatte es dreißig Jahre und Millionen von Toten gebraucht, und dann endet das Ganze so! Dreißig Jahre für einen solchen Abgang. Vielleicht wäre die Schande besser gewesen.“

Bücher von Éric Vuillard (Auswahl).

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